Eine starke Demokratie braucht ein starkes Public Banking

von Ivo Muri – Unternehmer und Zeitforscher

In den vergangenen Jahrzehnten haben wir unseren Fokus im Geldsystem vor allem auf die Idee des Private Banking konzentriert. Wir haben Kantonalbanken privatisiert und die Spekulation an den Finanzmärkten zum Tagesgeschäft für Herrn und Frau Jedermann ausgeweitet. Dabei haben wir versäumt, die Geschichte und Hintergründe, die bei uns in der Schweiz und auf der ganzen Welt zu einem starken Public Banking geführt haben, zu analysieren. Wir haben schlicht vergessen, warum wir früher in der Schweiz Kantonalbanken als Staatsbanken gegründet hatten. Mit diesem Essai möchte ich im Rahmen der Vollgelddiskussion auf die historische Bedeutung des Public Banking für eine funktionierende föderalistische und bürgernahe direkte Demokratie eingehen und folgendes als Axiom festhalten: Eine starke Demokratie, in der die Bürgerinnen und Bürger sich tatsächlich selbst regieren, mag sich dafür entscheiden, ein starkes Private Banking zu haben. Aus 3000 Jahren Wirtschaftsgeschichte dürfen wir jedoch zwingend ableiten und dies definitiv in den Schweizer Geschichtsbüchern verankern: Ohne starkes Public Banking gibt es keine Demokratie. Die Geldschöpfung gehört in einer föderalistischen direkten Demokratie neben Exekutive, Legislative und Judikative als vierte Staatsgewalt unter die Kontrolle eines demokratisch legitimierten Eichmeisters.

Nach der Aufhebung des fixen Franken-EURO-Wechselkurses im Jahr 2015 sind in der Schweiz alte Politikerstimmen von links bis rechts wieder aufgekommen, die verlangt haben, dass wir in der Schweiz den Schweizer Franken aufgeben, den EURO als Währung übernehmen und damit den Schweizer Währungsraum definitiv entnationalisieren, deregulieren und (teil)privatisieren sollten. Diese Stimmen sind heute verstummt. Die Geschichte von Griechenland und anderer EURO-Länder hat vielen Laien die Augen geöffnet, was es für eine Demokratie bedeutet, keine eigene Währungspolitik betreiben zu dürfen. Die politische und wirtschaftliche Schweizer Führung, welche die Schweiz in der EU und damit auch im EURO-Raum integrieren wollte, hat ganz offensichtlich wichtige Zusammenhänge zwischen wirtschaftlicher Freiheit und demokratischer Kontrolle über das Geldsystem zu wenig verstanden – mit Sicherheit aber zu wenig berücksichtigt. Der Zug in Richtung «Entnationalisierung des Geldes», der ab 1982 auch in der Schweiz Fahrt aufgenommen hatte, scheint ausgebremst. Der Mut zum Aufbruch, der unsere Wirtschafts- und Politikelite beflügelt hatte, trotz EWR-Nein des Schweizer Volkes den Weg in Richtung EU und EURO weiter zu gehen, scheint ins Stocken zu geraten. Dafür kommen – für den Laien ganz unvermittelt – in Sachen Geld ganz neue Fragestellungen auf uns zu. BitCoin und andere Privatwährungen verwirren die grosse uninformierte oder gar desinformierte Mehrheit der Bevölkerung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Viele Menschen fragen sich verwundert, warum mit dem BitCoin nun ausgerechnet die private Computerindustrie das Recht zum Geld drucken erhalten soll – nicht aber die Landwirte (2018 gilt in Georgien die Kartoffel als Hauptzahlungsmittel) oder die Bäckermeister, Metzgermeister – oder der Zirkus Knie. Darf denn heute plötzlich jedermann Geld herstellen, wie jede andere Ware, dieses Geld eine Währung nennen und damit Steuern (Staatsabgaben) bezahlen? Ein Luzerner CVP-Nationalrat hat im Dezember 2017 beim Bundesrat eine Interpellation eingereicht und wichtige staatspolitische Fragen zu BitCoin gestellt. Darf man BitCoin überhaupt eine Währung nennen und wenn ja – wer übernimmt bei diesem ganz offensichtlich unkontrollierbaren und sich selbst aus dem Nichts schöpfenden Geld die Verantwortung dafür, dass hinter diesen Zahlen auf dem Computer auch tatsächlich reale Wertgegenstände stecken, die man für dieses Geld kaufen könnte? 

Darüber hinaus verwundern sich viele Kleinunternehmer, Privathaushalte und Wissenschafter verschiedener Fakultäten, warum wir nun zum Thema «Geldschöpfung» eine Volksabstimmung machen müssen. Viele wussten schlicht nicht, dass Privatbanken überhaupt Geld schöpfen dürfen. Schliesslich haben uns gut meinende Lehrer an unseren Volksschulen während Jahren im guten Glauben so unterrichtet, dass für die Geldschöpfung die Schweizerische Nationalbank zuständig sei. 

Die zentrale Frage, die von den Initianten der Vollgeldinitiative aufgeworfen wird, ist jedoch für eine Demokratie eine Grundlegende: Warum sollten Gemeinden und Kantone kein Geld schöpfen, wenn das die private Computerindustrie mit BitCoin darf? Sollen private Institutionen neues Geld schöpfen dürfen – nicht aber Kantone, Gemeinden und der Bund? Welche Auflagen und Pflichten müssen private oder staatliche Institutionen erfüllen, die Geld schöpfen und ausgeben dürfen? Gibt es eine Demokratie ohne demokratisch kontrollierte und staatlich organisierte Geldschöpfung? Kann das Privileg der Geldschöpfung in einer Demokratie an beliebige Institutionen – ja sogar an private Institutionen übertragen werden? Um diese Fragen geht es tatsächlich bei der Vollgeldinitiative. 

Als Zeitforscher bin ich der Frage nachgegangen, warum Zeit Geld ist. Hierbei musste ich auch die Geschichte des Geldes von seiner Erfindung bis zu seiner heutigen Anwendung erforschen. Was ich bei dieser Forschungstätigkeit herausgefunden habe, ist in Bezug auf die Geldorganisation eindeutig: 

1. Immer wieder in der Geschichte der Menschheit hat sich das Privileg der Geldschöpfung dem demokratischen Rechtsstaat entzogen und immer wieder in der Geschichte der Menschheit haben sich grosse Staatsmänner dafür eingesetzt, das Privileg der Geldschöpfung wieder demokratischer - respektive politischer und damit staatlicher Kontrolle zu unterstellen. Einige davon – so auch John F. Kennedy – erwähne ich untenstehend und ich zitiere sie ausführlich. 

2. Viele Exzesse in der Geldwirtschaft haben immer wieder in bewaffnete Konflikte geführt und immer wieder kamen anerkannte Persönlichkeiten im Anschluss an diese Konflikte zum Schluss, dass die grossen Konflikte vermeidbar gewesen wären, wenn die Geldschöpfung nicht privaten Interessen unterstanden hätte. Es ist historisch belegt, dass Private ganz eindeutig die Tendenz haben, das Privileg der Geldschöpfung im eigenen Interesse zu missbrauchen. Aus der Geschichte des Geldes darf jeder demokratische Rechtsstaat ableiten, dass grosse Sozialkonflikte durch demokratisch kontrollierte Geldschöpfung vermeidbar sind. 

Hervorragend recherchiert und belegt hat diese Schlussfolgerungen der Buchautor und Gründer des 1996 gegründeten American Monetary Institute – Stephen Zarlenga. In seinem Buch «der Mythos vom Geld, die Geschichte der Macht» (ISBN 978-3-03760-008-5) kommt er nach detaillierter Analyse der Geschichte des Geldes zum zwingenden Schluss, dass das Privileg der Geldschöpfung in einem demokratischen Rechtsstaat als vierte Staatsgewalt der demokratischen Kontrolle und keinesfalls privater Kontrolle zu unterstellen sei: 

«Auf lange Sicht würden die Menschen erkennen, dass die Geldmacht [das Recht Geld zu schöpfen] viel tiefer dringt, als die drei anderen staatlichen Befugnisse [Exekutive, Legislative, Judikative]. Die Geldmacht [das Privileg der Geldschöpfung] sollte sich [neben Exekutive, Legislative und Judikative] zur vierten Macht im [demokratischen] Staat entwickeln, ohne den heutigen Einfluss und ihre Bedeutung für das tägliche Leben zu verlieren. Die jetzigen Inhaber der Geldmacht [der privaten Geldschöpfung] handeln heute hauptsächlich für ihren eigenen Profit und nicht zum Wohle der Allgemeinheit.»

Stephen Zarlenga. Gründer des «American Monetary Institute»  

Präzis zum gleichen Schluss kam der Erzbischof von Canterbury (eine Art Papst der englischen Kirche) noch während des zweiten Weltkrieges. Sir William Temple hielt als Erzbischof von Canterbury 1942 fest: 

«Im Falle von Geld haben wir es mit etwas zu tun, das in unserer Generation mit Methoden behandelt wird, die sich stark von den vor hundert oder fünfzig Jahren üblichen Methoden unterscheiden. Als es noch eine Vielzahl privater Banken gab, war das System der [privaten] Kreditausgabe [der privaten Geldschöpfung durch Kreditvergabe] vielleicht noch angemessen. Doch mit dem Zusammenschluss der Banken sind wir nun an einem Punkt angelangt, wo etwas, das allgemein gebraucht wird – nämlich das Geld oder der Kredit, der im Dienste des Geldes steht, in der Tat zu einem gewissen Monopol geworden ist. […] Die private Ausgabe von neuen Krediten sollte in der modernen Welt genauso behandelt werden, wie die private Geldprägung in früheren Zeiten. Die Banken sollten in ihrem Kreditpotential auf die von ihren Kunden hinterlegten Geldbeträge beschränkt sein, während die Ausgabe neuer Kredite [Geldschöpfung durch Vergabe neuer Kredite] die Aufgabe einer staatlichen Behörde sein sollte. Dies bedeutet keineswegs eine Zensur der Banken oder Bankiers […]. Doch das [Geld]System hat sich anormal entwickelt und dazu geführt – wie so oft, wenn eine anormale Entwicklung über einen langen Zeitraum andauert, dass etwas zum Herrn wird [die Privatbanken], das [in einer Demokratie] Diener sein sollte.»

Sir William Temple, Erzbischof von Canterbury, 1942  

Erinnern wir uns an alle die Diskussionen um Managerlöhne, Schattenbanken, Rettungspakete, Ramschpapiere, Absprachen rund um den Liborzinssatz usw. dann wird klar, dass sich an der Situation seit der Analyse von Sir Wiliam Temple im Jahr 1942 nichts geändert hat: Private Institutionen finden auch heute noch immer wieder Gründe, warum sie ihre Geldmacht für eigene Interessen missbrauchen – und zwar gerade deshalb, weil sie im Existenzwettbewerb mit anderen Marktteilnehmern stehen. Genau das meinte Bertold Brecht, wenn wer schrieb «Die Moral kommt nach dem Fressen». Wer selbst bedroht ist, die eigene Existenz zu verlieren, hält sich auch bei noch so viel Diskussion um Ethik, Moral, Good Governance und Compliance schliesslich nicht an die Regeln, um wirtschaftlich zu überleben. Deshalb braucht es in einer funktionierenden direkten Demokratie ein Public Banking, das nicht nach den Gesetzen des Existenzwettbewerbs arbeiten muss und das aus einer Position der Ruhe und Existenzsicherheit heraus dem Wohlergehen der Menschen innerhalb einer Volkswirtschaft verpflichtet ist. Solche Institutionen benötigen Beamte – so wie wir sie früher einmal hatten – Amtsträger, die ihr Amt im Interesse des öffentlichen Wohls wahrnehmen. Der im Existenzwettbewerb kämpfende Mensch bleibt Mensch und weil man den Menschen nicht verändern kann, lohnt es sich, dass man die Gesetze und Institutionen dem Verhalten der Menschen anpasst – statt umgekehrt. Das wusste auch der Staatsphilosoph Montesqieu, der in seinem Werk «Vom Geist der Gesetze» Mitte des 18. Jahrhunderts folgendes festhielt: 

«Bei uns gilt nicht mehr als grosser Minister, wer die öffentlichen Einkünfte weise verteilt, sondern der erfindungsreiche Mann, der ermittelt, was man Schlupflöcher nennt».

Montesquieu, Charles Louis de Segondat, «Vom Geist der Gesetze»  

Viele Menschen wissen nicht, dass auch John F. Kennedy sich 1963 für die staatliche [demokratisch legitimierte] Geldschöpfung ausgesprochen hat. In der Washington Post vom 24. Mai 1963 und in der Ausgabe der New York Times des gleichen Tages kann man nachlesen, dass Präsident Kennedy beim US-Senat mit dem deutlichen Stimmenmehr von 68:10 Stimmen ein Gesetz durchgebracht hat. Gemäss diesem Gesetzesbeschluss durfte er Silber aus dem Staatsschatz verwenden zu Münzzwecken [Geldschöpfung] und für Verteidigungszwecke. Sicher kann jeder Historiker in den Senatsprotokollen vom 23. Mai 1963 nachlesen, was Kennedy damals gesagt hat, um dieses Gesetz zur staatlichen Geldschöpfung mit diesem komfortablen Mehr durchzusetzen. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass ein Präsident in der Regel gut argumentieren muss, um ein derart wichtiges Gesetz in einem Senat durchzubringen. Bekannt ist, dass Kennedy während seiner Amtszeit die Armut im eigenen Land bekämpfen wollte und dass er mit dem «militärisch-industriellen Komplex» im Konflikt stand. Deshalb ist unbedingt der Verwendungszweck genau zu hinterfragen. Gemäss Medienmitteilung durfte Kennedy das Silber verwenden für Münzzwecke (Armutsbekämpfung?) und Verteidigungszwecke (Rüstung unter Umgehung des militärisch-industriellen Komplexes?). 

Auch in der Schweiz haben wir uns anlässlich der Gründung der Kantonalbanken im ausgehenden 19. Jahrhundert mit der Frage der privaten Geldausgabe beschäftigt. Und auch in der Schweiz kamen wir  ganz offensichtlich zum gleichen Schluss wie Persönlichkeiten in England, Frankreich und in den USA. Johann Jakob Keller, der Gründervater der Zürcher Kantonalbank begründete die Notwendigkeit staatlicher Geldschöpfung und die damit verbundene Gründung der Zürcher Kantonalbank damals wie folgt: 

«Wir brauchen diese Staatsbank, um den Wucher [den Zins] zu bekämpfen, den Privatbanken heilsame Konkurrenz entgegenzustellen und den mittleren und kleineren Gewerbestand vor der Ausbeutung durch die in erster Linie auf eigenen Nutzen [Gewinne und Managerlöhne maximieren] bedachten Privatbanken zu schützen.»

Johann Jakob Keller, zur Gründung der Zürcher Kantonalbank  

Als wir im Jahr 2001 die Luzerner Kantonalbank bereits privatisiert hatten und über die Einführung eines neuen Notenbankgesetzes diskutierten, habe ich als Kleinunternehmer zu Händen der politischen Parteien des Kantons Luzern und zu Händen der Luzerner Wirtschaftsverbände folgenden Text publiziert, mit dem ich meine damaligen Kenntnisse über die Notwendigkeit eines starken Public Banking begründet habe (das Originaldokument können Sie per Mail anfordern unter info@nomosderzeit.ch). «Wer kraft Gesetz oder Marktmacht automatische Geldströme an sich bindet, geht gegenüber der Gesellschaft eine grosse Verpflichtung ein. Erst recht trägt Verantwortung, wer das Recht zum Schöpfen von Geld nach alchimistischem Prinzip kraft Gesetz zugesprochen erhält. Diese Institutionen und nur diese, sind für die gerechte Versorgung der Wirtschaft mit Geld verantwortlich. [geografisch, demographisch, soziographisch]. Liegt dieses Recht in privaten Händen, darf nicht der demokratische Rechtsstaat zum Sozialausgleich privater Versäumnisse verantwortlich gemacht werden.»  

Ivo Muri, Essai «Vom Sinn des Wirtschaftens»  

Rudolf Weber-Fas formulierte dies in seinem Buch »Über die Staatsgewalt [Exekutive, Legislative, Judikative, Geldschöpfung» wie folgt: «Um Staaten von grossen Räuberbanden zu unterscheiden, hat sich die hoheitliche Gewalt [auch die Geldschöpfung ist eine solche Staatsgewalt] an klaren rechtsstaatlichen Prinzipien zu orientieren. Ich bin der Ansicht, dass diese Maxime auch für Private gelten muss, wenn sie in unserem Auftrag als Private staatshoheitliche Aufgaben wie zum Beispiel die Geldschöpfung übernehmen. 

Lassen Sie mich zum Schluss noch klarstellen, dass ich nichts gegen ein starkes Private Banking einzuwenden habe. Aber aus der jahrhundertealten Erkenntnis heraus, dass es keine funktionierende Demokratie gibt, ohne starkes Public Banking und staatliche Geldschöpfung, bin ich persönlich mit den oben zitierten Persönlichkeiten einig und ebenfalls zum Schluss gekommen, dass die Geldschöpfung ausschliesslich bei demokratisch legitimierten staatlichen Institutionen liegen darf. Deshalb unterstütze ich als parteiloser Schweizer Bürger und Kleinunternehmer die Vollgeldinitiative, die genau dies fordert: Ein starkes Public Banking, das die Geldschöpfung einem demokratisch legitimierten Eichmeister unterstellt. Ich bin gespannt, wie die politischen Verantwortungsträger in unserem Land gegen dies Idee von Vollgeld argumentieren wollen, die wir in der Schweiz ab 1848 durch die Gründung der Kantonalbanken bereits umgesetzt und eingeführt hatten. Auf jeden Fall hoffe und freue ich mich auf einen fairen und offenen Dialog zu einem Thema, das von höchster Bedeutung ist für das Wohlergehen der Menschen in unserem Land. Das Recht, Geld zu schöpfen ist ein Privileg, das auf jeden Fall erfordert, dass wer immer es ausüben darf, auch Verpflichtung übernehmen muss für das Wohlergehen der Menschen in einem demokratischen Rechtsstaat. Und wer Geld schöpft muss sich dort gesetzlich einschränken, wo es um den privaten Vorteil geht.  

Sursee, 9. März 2018 - Ivo Muri – Unternehmer und Zeitforscher