Weshalb die Freie Gemeinschaftsbank Vollgeld unterstützt

von Jean-Marc Decressonnière, Mitglied der Geschäftsleitung der Freien Gemeinschaftsbank Basel

Wenn wir im Supermarkt unsere Einkäufe an der Kasse bezahlen, verwenden wir entweder Buchgeld, wenn wir mit unserer Bankkarte über ein Zahlungsterminal die Abbuchung des Kaufpreises von unserem Bankkonto veranlassen, oder wir greifen zum Portemonnaie und begleichen den Kaufpreis mit Bargeld. Dieses haben wir in aller Regel zuvor an einem Geldautomaten von unserem Bankkonto abgehoben. Für die Zahlungsvorgänge in unserem Lebensalltag sind beide Geldformen – das Bargeld und das Buchgeld – völlig gleichwertig. Die materielle Erscheinungsform des Geldes als Metall-, Papier- oder Buchgeld ist für die Zahlungsmittelfunktion des Geldes nicht wesentlich. Ganz in diesem Sinn fasst die Schweizerische Nationalbank (SNB) bei der Bestimmung des Geldvolumens, das in der Wirtschaft zirkuliert, das Bargeld und das Buchgeld auf unseren Konten (Sichtguthaben) zur einheitlichen Geldmenge, M1 genannt, zusammen.

Auf der rechtlichen Ebene dagegen stellt sich die Sache völlig anders dar. Das einschlägige Bundesgesetz über die Währung und die Zahlungsmittel (WGZ) bezieht sich nicht auf unser Geld insgesamt, das sich heutzutage aus 10 % Bargeld und 90 % Buchgeld zusammensetzt, sondern nur auf das Bargeld: Allein die Münzen und Banknoten sind als gesetzliche Zahlungsmittel, d. h. als Schweizer Franken deklariert. Das Buchgeld auf unseren Bankkonten bleibt hingegen im Zahlungsmittelgesetz völlig ausgeblendet, es wird mit keinem Wort erwähnt.

Der Blick in das Gesetz zeigt uns also, dass wir auf unseren Bankkonten keine Schweizer Franken, kein Geld im gesetzlichen Sinne haben, sondern nur einen Anspruch auf Schweizer Franken, oder genauer gesagt: einen Anspruch gegen die kontoführende Bank auf die Auszahlung von Bargeld. Während wir einen Anspruch auf Brot nicht essen können, ist es beim Geld anders: Der Anspruch auf Geld kann als solcher wie Geld verwendet werden, dadurch, dass er übertragbar ist. So kann das Buchgeld, obwohl es kein gesetzliches Zahlungsmittel ist, für die Ausführung von Zahlungen wie Bargeld verwendet werden, etwa an der Supermarktkasse, wie oben beschrieben.

Diese gesetzliche Ungleichbehandlung von Bargeld und Buchgeld ist nur historisch zu erklären. Für unser heutiges Geldwesen, in den das Buchgeld dominiert, erscheint sie völlig anachronistisch. Sind aber diese rechtlichen Aspekte nicht völlig unerheblich, wenn doch in der Praxis beide Geldformen ungeachtet ihres rechtlichen Status als Zahlungsmittel gut funktionieren? Weit gefehlt, denn genau in diesem Punkt ist die latente Instabilität und Krisenanfälligkeit unseres Geld- und Banksystems begründet.

Um es anschaulich zu machen, wollen wir uns in der Bank einen Topf vorstellen, in dem sich das Bargeld der Bank sowie die jederzeit in Bargeld einlösbaren Zentralbankreserven befinden. Das Buchgeld auf den Zahlungskonten der Bankkunden stellt, wie wir gesehen haben, einen Anspruch auf Bargeld aus diesem Topf dar. Mit jeder Kreditvergabe schöpft die Bank neues Buchgeld und dementsprechend vergrössert sich das Volumen der Ansprüche auf Bargeld. Im Ergebnis wird der Inhalt des Bargeldtopfes von den Ansprüchen auf diesen Inhalt um ein Vielfaches überstiegen. Die Ansprüche können daher niemals vollumfänglich bedient werden, wenn etwa die Kunden ihr Vertrauen in die Bank verlieren und alle Kunden gleichzeitig ihren Anspruch auf den Inhalt des Topfes geltend machen, d. h. von der Bank eine Barauszahlung ihres Kontoguthabens verlangen. Wird die betroffene Bank in einem solchen Krisenfall nicht vom Staat, also auf Kosten der Allgemeinheit, gerettet, bricht sie wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Infolge des Vertrauensschadens droht das Banksystem insgesamt in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Eine solche Situation haben wir vor gut zehn Jahren bei der Banken- und Finanzmarktkrise eindrücklich erlebt.

Unsere Geldordnung ist demnach so veranlagt, dass Banken Buchgeld schöpfen können und damit Ansprüche auf Bargeld in einem Umfange begründen, die objektiv nicht erfüllbar sind. Das Gebäude unseres Banksystems ist somit strukturell instabil. Man versucht nun, es von aussen mit Gerüsten und Pfeilern zu stützen (Bankenregulation) und mit Polstern zu versehen (Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen), welche sich jedoch immer wieder als unzureichend erweisen und neu angepasst werden müssen. Auch wenn heute nach erfolgter Einführung der sogenannten Basel III-Vorschriften der Bundesrat verkündet – bemerkenswerterweise wie bereits zuvor nach der Einführung von Basel I und Basel II –, man habe die Hausaufgaben gemacht und das Bankensystem sei nun stabil aufgestellt, wäre es naiv zu glauben, dass auf Basel III kein Basel IV folgen werde. Die stabilisierenden Massnahmen werden nur Flickwerk bleiben, solange der Kern des Problems nicht angegangen wird: Es muss das Gebäude des Banksystems, um im Bilde zu bleiben, bis in das Fundament der Geldordnung hinein saniert werden, damit es in sich stabil sein kann. Genau darum geht es bei der Vollgeldinitiative.

Im Vollgeldsystem wird das Buchgeld – so, wie es das Bargeld heute bereits ist – zu einem vollwertigen gesetzlichen Zahlungsmittel, d. h. zu Vollgeld eben. Damit wird das  kritische Missverhältnis zwischen den Versprechungen der Banken auf Barauszahlungen der Kontoguthaben und der Erfüllbarkeit dieser Versprechen aufgehoben. Das führt zu einer Stabilisierung unseres Banksystems und verschafft uns auf unseren Lohnkonten krisensicheres Geld.

Es gibt gute Gründe, das überkommene Geldsystem kritisch zu hinterfragen und "im Gesamtinteresse des Landes" – so der in der Bundesverfassung verankerte geld- und währungspolitische Grundsatz – grundlegend zu reformieren. In diesem Sinne verdient die Vollgeldinitiative unsere volle Unterstützung.

Basel, 28.05.2018
Jean-Marc Decressonnière